Rezension: „9 Tage wach“

Die romanhafte Autobiografie „9 Tage wach“ erzählt das Leben von Eric Stehfest, in dem er die Leser:innen auf eine schonungslos offene und ehrliche Reise mitnimmt. 
Gemeinsam mit Michael J. Stephan schrieb Eric den Spiegel-Bestseller.

In „9 Tage wach“ schildert der ehemalige GZSZ-Schauspieler seine Geschichte, seine Jugend, sein Erwachsenwerden und schließlich auch sein Abhängig werden. Schon im Vorwort wird deutlich, dass uns keine Biografie mit kostbar ruhigen Momenten erwartet.

„Ein Buch wie im Rausch“ steht auf der Rückseite des Buches und hätte treffender nicht sein können: Eric nimmt uns mit, alles wird erzählt. Jedes noch so schöne, oder auch unschöne Detail. 
Lange, detailreiche Erzählungen fehlen. Eric hechtet von Ereignis zu Ereignis.

Seine Geschichte beginnt in dem sächsischen Hänichen, ein Ort, der für Eric zu langweilig ist. Er fährt oft nach Dresden, kifft mit 13 Jahren das erste Mal. Seine Jugend ist geprägt von Drogen-, Gewalt- und Sex-Erfahrungen.  Er konsumiert regelmäßig, vor allem Chrystal Meth – oder auch „Christine“.

Eric lernt Anja kennen, ändert für sie sein ganzes Leben, wird clean, beginnt in Leipzig Schauspiel zu studieren. Doch sein Leben wurde zunächst nicht besser: Eric rutschte wieder ab, konsumierte so viel wie noch nie. Es folgte der titelgebende neuntägige Rausch, der ihn fast umgebracht hätte. Zu lesen ist in dem Buch auch sein Abschiedsbrief, den er in der Zeit an sich selber schrieb.

Eric beginnt eine Therapie, versucht sich selber verstehen zu lernen. Sucht nach Antworten in der Geschichte der Urgroßväter und bei sich selbst.

Die Form der einzelnen Kapitel passt zu den Inhalten, wie Topf auf Deckel. Eric Stehfest und Michael J. Stephan nutzen vor allem einfache, kurze Sätze, schreiben in einer bildhaften Sprache. Gleichzeitig nutzen sie unendlich viele Metaphern und Ellipsen. Die einzelnen Handlungsstränge sind nicht immer chronologisch aufeinander aufgebaut, was zum Teil das Verständnis erschwert.Für die Leser:innen mag das zunächst verwirrend erscheinen, doch wer sich schon mal mit jemandem unterhalten hat, der „drauf“ war weiß, dass es unfassbar schwer ist, der Person zu folgen. Denn so chaotisch, verwirrend und anstrengend die Erzählungen sein mögen, sie sind authentisch und geben einen einmaligen Einblick, wie jemand die Welt und sich selber wahrnimmt, wenn er jahrelang harte Drogen konsumiert.

Das Einzige was sich wie ein roter Faden, sowohl inhaltlich, als auch formal durch das gesamte Buch zieht ist die Schauspielerei bzw. das Theater.Zu Schulzeiten besucht er die Theater-AG, studierte Schauspiel in Leipzig und Berlin und schlussendlich wurde bekam er eine Rolle im Fernsehen bei „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Während seiner Studienzeit lernt Eric Lorris kennen, der sein bester Freund wird. Die beiden gründen zusammen die Station B3.1 und produzieren gemeinsame kurze Filme (die „Recherchefilme“ sind auf YouTube zu finden – sehr empfehlenswert!).Immer wieder begegnet Eric im Theater und Schauspiel Texte und Stücke, die er auf sein Leben übertragen kann. Deshalb finden sich auch im Buch immer wieder Ausschnitte aus Dramen, die er gekonnt in seine Geschichten einbettet. 

Eric Stehfets bei einer Lesung seines Buches „9 Tage wach“
Foto: Stefan Brending, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de, 2019 Eric Stehfest – by 2eight – ZSC1341, CC BY-SA 3.0 DE

Fazit

Drogen sind verbreiteter als wir alle denken. Die Versuchung extrem arbeitsfähig, voller Motivation und 100% abgelenkt zu sein ist vor allem in der heutigen Gesellschaft enorm. Da muss man schon höllisch aufpassen, nicht unterzugehen. 9 Tage wach ist keine klassische Drogengeschichte wie beispielsweise „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ von Christiane F.

Was ich persönlich so wertvoll an „9 Tage wach“ finde ist, dass Eric Stehfest völlig nüchtern und wertfrei in dem Buch auf sein Leben schaut. Die Berichte sind frei von Schuldzuweisungen oder Selbstmitleid. Das ermöglicht den Leser:innen selbst ihr Urteil zu fällen, oder auch eben nicht. Man kann aber seine Geschichte auch einfach auf sich wirken lassen, ohne gleich beurteilen zu müssen, was jetzt, wann, wie und wo schiefgelaufen ist.

Es wird nichts beschönigt, aber auch nicht schlecht geredet. Es bleibt bei den Leser:innen, ob das Buch bei ihnen Angst und Unbehagen vor der Droge oder Faszination, vielleicht auch Sehnsucht auslöst. In meinen Augen ist „9 Tage wach“ ein Buch, das einen auf sehr vielen Ebenen bereichert. Zum einen verleitet mich die wertfreie und doch präzise Schreibweise, meigenes Leben zu hinterfragen, aber auch bei den Mitmenschen mal ein bisschen genauer hinhören. Man kann besser verstehen, was in dem Kopf eines Meth-Abhängigen passiert. Voraussetzung ist allerdings, dass man sich auf diesen besonderen Schreibstil einlassen muss.

Eric Stehfest ist ein Mensch, wie du und ich. Ein Mensch, der Abhängig geworden ist und es geschafft sich selber zu verwirklichen. Man muss nicht immer seiner Meinung sein, aber sein Werdegang ist definitiv inspirierend.

Wenn ich mit Sternen bewerten müsste gäbe es 5/5 Sterne 🙂

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