…und keinesfalls Rafik Schamis Erzählung „Die dunkle Seite der Liebe“.
Fast schon könnte man sie als sein Lebenswerk bezeichnen. Mit sechzehn kam ihm das erste mal in den Sinn, „einen Roman über alle Spielarten der verbotenen Liebe in Arabien“ zu schreiben, wie er in seinem letzten Kapitel „Der Eckstein“ verrät.
2004, als Rafik Schami 58 Jahre alt ist, kommt es endlich zur Erstveröffentlichung durch den Hanser Verlag. Schon bevor man ein Wort gelesen hat, lässt das Buch einen erahnen, wie viel Arbeit in ihm steckt, denn es umfasst ganze 896 Seiten.
Rafik Schami erzählt in diesem Buch von den verwinkelten Gassen Damaskus‘ und den verworrenen Geschichten Syriens. Das Gerüst des Romans bildet die Liebesgeschichte zwischen Farid Muschtak und Rana Schahin, welche ein wenig an Romeo und Julia erinnert. Denn sie sind die Kinder von zwei Familien, welche schon seit drei Generationen eine wohl gehütete Feindschaft verbindet.
Farid und Rana wachsen in den 1940er Jahren beide im christlichen Viertel von Damaskus auf. Sie lernen sich bei Ranas bester Freundin kennen und fangen an sich zu treffen und zu lieben. Jedoch müssen sie ihre Liebe vor ihren Familien geheim halten, um sie weiter leben zu können.
In „Die dunkle Seite der Liebe“ begleitet man Farids und Ranas Familien über mehr als ein Jahrhundert hinweg. Als Lesender erfährt man von unterschiedlichsten Schicksalen und Geschichten der einzelnen Familienmitglieder. Hauptsächlich geht es jedoch um Farid und Rana selbst und auch darum, welche Auswirkungen die politischen Unruhen auf die beiden haben.
Farid liebt Damaskus sehr. Er liebt die Gerüche, die Geschichten, die Straßen, die Menschen und das pulsierende Leben der Stadt. Genau wie auch Rafik Schami seine Geburtsstadt liebt.
Doch musste Schami aufgrund des politischen Systems 1970 aus Syrien fliehen. Seitdem kann er nur noch in seiner Fantasie dorthin zurück reisen, und auf eine solche Reise nimmt er uns in seinem Werk mit. Denn neben der Liebe zwischen Farid und Rana erzählt uns Rafik Schami auch von seiner Liebe zu Damaskus, indem er viele kleine Geschichten und Erzählungen mit einflicht, die nichts oder kaum etwas zum Strang der Haupthandlung beitragen und es uns sogar etwas schwer machen, überhaupt eine solche zu finden.
Das Buch hat in seiner Struktur, weniger etwas von einem herkömmlichen Roman als von einer mündlich geschilderten Geschichte, und genau das charakterisiert Schamis Bücher. Er schmückt seine Erzählungen so aus, dass man sich in sie hineinversetzt fühlt. Er beschreibt die Personen und die Orte mit einer Feinfühligkeit und Ausgiebigkeit und oft auch mit viel unterschwelligem Humor. Rafik Schami ist ein orientalischer Geschichtenerzähler.
So hat auch mich sein charakteristischer Stil sehr beeindruckt. Für mich war weniger die Liebesgeschichte wichtig, denn diese ist teilweise etwas platt geschildert. Mehr war es das Gefühl, welches ich durch die vielen kleinen Details von Rafik Schamis Damaskus bekommen habe.
Schamis Liebe zu dieser Stadt fesselte mich. Die Figuren haben keine sonderliche Tiefe und sind einem nicht so nah wie in anderen Büchern. Aber genau das lässt zu, dass man diese Stadt aus den Augen des Autors betrachtet und nicht aus denen einer der Romanfiguren.
Es ist kein Thriller, und man liest dieses Buch nicht weiter, weil man wissen will, wie es ausgeht. Sondern weil man wissen will, wie Damaskus ist, wie das Leben zu dieser Zeit in Syrien (von manchen) wahrgenommen wurde und weil es einen in eine andere Welt versetzt.
Rafik Schami vergleicht sein Werk gerne mit einem orientalischen Mosaik, welches erst sein ganzes Gesicht zeigt, wenn der letzte Stein gesetzt wurde. So muss auch „Die dunkle Seite der Liebe“ erst im Ganzen gelesen werden, bevor ein rundes Bild der Menschen und Gesellschaft in Syrien entsteht und bevor man vollständig versteht, wie viel Arbeit und Demut und Liebe Rafik Schami in dieses Buch fließen ließ.
Menschen, welche die Ausdauer besitzen, dicke Bücher zu lesen und sich mit ihnen auch eine Weile zu befassen und die außerdem gerne in anderen Welten versinken und eine Neugier für anderer Menschen Lebensart und -weise haben, möchte ich dieses Buch gerne empfehlen.
Denn ich finde man merkt diesem Buch beim Lesen an, wie gut recherchiert und durchdacht die Erzählungen über die syrische Gesellschaft zur damaligen Zeit und das damit einhergehende Lebensgefühl sind.
Dieses Buch befriedigt eine Sehnsucht und Neugierde nach fremden Kulturen und lässt sie gleichzeitig stärker entfachen.