Wer von uns schon einmal durch die hallesche Innenstadt geschlendert ist, der könnte schon einmal über den Graseweg gestolpert sein. Die kleine Gasse in der Nähe des Marktplatzes ist leicht zu übersehen, doch genauso leicht zu finden wenn man nach ihr sucht. Und es lohnt sich, einmal von seiner üblichen Bummelroute abzukommen um sie etwas näher zu betrachten.

Bekannt ist der Graseweg vor allem für das passend benannte Graseweghaus, das älteste Fachwerkhaus von Halle. Nicht nur wurde es vor kurzem renoviert und konnte so dem Schicksal entkommen, dem viele alte Häuser von Halle erlegen sind, sondern liegt es auch zentral genug, um den einen oder anderen Touristen in seinen Bann zu ziehen.
Die Art, wie es beinahe furchterregend über der Straße aufragt, lässt einen das Gefühl nicht loswerden, dass noch mehr unter dem Straßenpflaster begraben liegt, als man vermutet.

Und dieses Gefühl behält Recht, wenn herausfindet, warum dieser Ort nicht nur berühmt, sondern auch berüchtigt ist.
Denn angeblich erhielt er seinen Namen um 1348, als die Pest Halle heimsuchte.

Pandemie des 14. Jahrhunderts

Die Stadt war damals noch kleiner, vor allem um den alten Markt und Hallmarkt gedrängt, und
hatte eine Population von etwa 4000 Menschen.
Wie in vielen Städten des Mittelalters waren die Hygienebedingungen schlecht. Beispielsweise gab
es keine Abwasserkanäle oder Müllentsorgung, was verdreckte Straßen zur Folge hatte. Die
Menschen lebten dicht beieinander und über die Übertragung und Vermeidung von Krankheiten war
wenig bekannt.
Ein wahres Paradies für die Pest, die sich erst über Ratten und dann über Flöhe immer weiter über
den Kontinent ausbreiten konnte.

Ursprünglich wurde der Erreger vermutlich in China geboren, von wo aus er dann über die
Seidenstraße und schließlich über andere Handelswege nach Europa gelangte, um sich dort rasend
schnell auszubreiten.

Die Pest in Halle

Die Menschen von Halle hatten bereits von der Pest, dem „Schwarzen Tod,“ gehört und wussten,
dass sie schnell handeln mussten, um zu überleben.
Als dann also die ersten Bürger der Krankheit zum Opfer fielen, machte man kurzen Prozess.
Quarantäne. Der Stadtteil, in welchem die Fälle aufgetreten waren wurde abgeriegelt. Der Rest der
Stadt sollte um jeden Preis vor Ansteckung geschützt werden. Und der Preis war hoch.

„Quarantäne“ wirkt heute beinahe wie ein gemäßigtes Wort. Zuhause bleiben, einige Wochen
niemanden außer das eigene Spiegelbild sehen, Stubenarrest. Oder, im schlimmeren Fall, im
Krankenhaus unter strenger Beobachtung stehen.

Das war zur Zeit der Pest nicht der Fall. Nicht nur gab es keine Intensivstationen, in denen die
Menschen behandelt werden konnten, die Pest konnte gar nicht behandelt werden. Man wusste noch
nicht einmal vom Ursprung der Seuche.
Das einzige, was man wusste, war dass die Krankheit hochansteckend und höchst tödlich war.

So also, aus Mangel an besseren Lösungen, wurden die Menschen im Stadtteil der ersten Fälle, ob
in Kontakt mit den Opfern oder nicht, zum Schutz der Allgemeinheit in ihrem Viertel eingemauert
und sich selbst überlassen. Eine Mauer wurde um den, damals noch unbenannten Graseweg
gezogen, die den „infizierten Teil“ von Halle vom Rest abgrenzen sollte.
Niemand konnte hinein oder hinaus.
Niemand erhörte die Eingeschlossenen, die um Hilfe riefen.

Erst zehn Jahre später traute man sich, die Mauern wieder niederzureißen. Keiner der
Isolierten hatte überlebt, abgeschlossen von jeglicher Versorgen und eingeschossen mit
einer Seuche.
Alles, was zurückblieb waren die Knochen der Toten, überwuchert von hüfthohem Gras als Zeuge
der Zeit.

Wie viel Wahrheit in dieser Sage steckt ist umstritten, doch wenn man der Überlieferung Glauben
schenkt, erhielt die Straße so ihren Namen: Der Graseweg.

Es ist leicht zu vergessen, wie viel unsere Stadt schon gesehen hat, doch kann man an jeder Ecke Zeugen der Zeit wie diese finden. Deshalb traut euch bei eurem nächsten Spaziergang ruhig einmal, auch die verwinkelten Stellen zu besuchen, die normalerweise verborgen bleiben. Wenn man die Augen offen hält, kann man weit mehr entdecken, als man denkt.

Psssst! Wenn ihr nicht gerne nach draußen geht, könnt ihr auch hier einen zweidimensionalen Eindruck bekommen:

https://www.bing.com/images/search?q=graseweg+halle+saale&form=HDRSC2&first=1&tsc=ImageHoverTitle

Quellen:

Lernhelfer, „Die Große Pest von 1347/52“
Link: Die Große Pest von 1347/52 in Geschichte | Schülerlexikon | Lernhelfer
Letzter Zugriff: 17. 12. 2021


Netdoktor, „Pandemie und Epidemie“
Link: Pandemie & Epidemie: Definition und mehr – NetDoktor
Letzter Zugriff: 17. 12. 2021


Wikipedia, „Einwohnerentwicklung von Halle“
Link: Einwohnerentwicklung von Halle (Saale) – Wikipedia
Letzter Zugriff: 17. 12. 2021


Halle-Ist-Schoen, „Halle Saale: Graseweg“
Link: Halle (Saale): Graseweg (halle-ist-schoen.de)
Letzter Zufgriff: 17. 12. 2021


Halle.de, „Der Graseweg“
Link: Halle (Saale) – Händelstadt: Der Graseweg
Letzter Zugriff: 17. 12. 2021

Verwendete Bilder: Eigene